Nachhaltige Mode – Mythos oder längst überfällige Trendwende?
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Was zeichnet nachhaltige Mode aus und warum ist „normale“ Kleidung nicht nachhaltig? Und welche Konsequenzen hat ein Commitment zur Nachhaltigkeit in der Textilbranche auf den Herstellungsprozess?
Was ist nachhaltige Mode? – Ein Begriff, der schon seit einigen Jahren unsere Gesellschaft und vor allem die Textilindustrie beschäftigt. In diesem Zuge sollte man sich gleich mal eine weitere Frage stellen: Was ist Nachhaltigkeit?
Obwohl ich von dieser Begrifflichkeit in meinem Arbeitsumfeld bei Sympatex quasi tagtäglich umgeben bin und sie auch in meiner Arbeit als Presse-Verantwortliche sehr häufig verwende, ertappe ich mich selbst dabei, manchmal etwas abgestumpft zu reagieren, wenn ich wieder das nächste Schild mit „nachhaltige XY“ sehe.
Inzwischen scheint ja quasi alles „nachhaltig“ zu sein oder aus „fairer Produktion“ zu stammen. Das fängt beim Fair Trade Kaffee an und hört bei der neuesten Möglichkeit klimaneutral zu tanken (nicht) auf. Das kurioseste – und irgendwie auch lustigste – was ich in letzter Zeit gelesen habe, ist eine „nachhaltige Diskothek“ in San Francisco, deren Stromverbrauch über eine eigens präparierte Tanzfläche erzeugt wird. Der Dancefloor als Stromgenerator – d.h. Party machen und sich nebenbei ein gutes Gewissen einreden – was will man mehr?!
Aber Spaß beiseite – ich habe durchaus den Eindruck, viele der aktuellen Ideen und Initiativen rühren von recht ernstgemeinten Nachhaltigkeitsgedanken. Das möchte ich gar nicht in Abrede stellen. Aber so mancher verwendet das Wort sicherlich auch als eine Art Freifahrtschein, um sich nur augenscheinlich von der Stelle wegbewegen zu müssen. Und bitte nicht falsch verstehen, je mehr Menschen und Unternehmen sich wahrhaftig für einen nachhaltigeren Lebens- und Arbeitsstil entscheiden und dies auch leben, desto mehr freut sich unsere Mutter Erde – die uns ja aktuell sehr deutlich zeigt, dass wir Menschen nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Dennoch frage ich mich, ob das Wort „nachhaltig“ tatsächlich zu Ende gedacht wurde.
Die Definition von nachhaltiger Mode
Schauen wir uns doch mal an, was die Wissenschaft zu Nachhaltigkeit sagt. Der Begriff entstand in der deutschen Sprache schon vor einigen Jahrhunderten in der Forstwirtschaft. Hans Carl von Carlowitz verwendete den Begriff erstmals 1713 in seinem Werk Silvicultura oeconomica im Sinne eines langfristig angelegten verantwortungsbewussten Umgangs mit der Ressource Holz. Es ging also damals schon darum, die Regenerationskraft unserer Ökosysteme zu erhalten. Und darum geht es auch heute noch. Folgt man der Definition der Plattform Utopia, hinterlassen nachhaltige Produkte einen möglichst geringen ökologischen Fußabdruck und sind hinsichtlich ihrer Ökobilanz sozusagen „ausgeglichen“. Nachhaltige Produkte sollten demnach sowohl eine hohe Lebensdauer aufweisen, als auch bei der Herstellung und Entsorgung die Umwelt möglichst wenig belasten. Oder etwas anschaulicher ausgedrückt: ein bisschen nachhaltig geht ebenso wenig, wie ein bisschen schwanger sein. Entweder ganz oder gar nicht.
Gemäß dieser Erklärung hinterlässt nachhaltige Mode also einen möglichst geringen Fußabdruck – egal ob bei der Produktion, beim Ausliefern an den Kunden, während des Tragens der Produkte sowie bei der Entsorgung oder besser Wiederverwertung am Ende ihrer Produktlebenszeit. Letzteres passiert idealerweise im Kreislauf – aber das schauen wir uns gleich noch genauer an. Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang: wie lässt sich dieser doch scheinbar recht hohe Anspruch in den einzelnen Steps des Produktlebenszyklus tatsächlich umsetzen? Wie erreicht man als Mode-Produzent höchstmöglichen Umweltschutz?
Warum ist es wichtig, auf die Produktion nachhaltiger Mode zu achten?
Zunächst mal hilft es, ehrlich hinzuschauen. Gerade in der Textilindustrie wurde das lange Zeit leider nicht getan. Vielleicht stehen wir genau deshalb nun an diesem Punkt: wir sind die zweitschmutzigste Industrie der Welt – gleich nach der Ölindustrie! Erschreckend, oder? Da wir als Funktionsspezialist Teil dieser Industrie sind, haben wir uns bei Sympatex vor fast vier Jahren dazu committet, noch genauer hinzuschauen, also die größten Umweltsünden unserer Industrie zu identifizieren – um zu erkennen, wo wir selbst ansetzen können und welche Hausaufgaben wir selbst noch zu machen haben. Wir haben vier Kernprobleme (CO2 Ausstoß, Wasserverbrauch, Chemieeinsatz und Ressourcenverschwendung) identifiziert, die es gilt, so schnell wie möglich gemeinsam mit der ganzen Industrie anzupacken und adäquate Lösungen zu finden.
Nachhaltige Mode und Recycling – Warum sind recycelte Materialen besser für die Umwelt?
Ich picke mir mal das Thema Recycling heraus und beleuchte es in diesem Blogbeitrag ein wenig näher. Der Grund: forcieren wir alle dieses Thema und schaffen wir es, den Textilkreislauf zu schließen, lösen oder verringern wir nebenbei noch einige weitere Kernprobleme (z.B. den hohen Wasserverbrauch von erdölbasierten Textilien).
Allein schon die Mengen an Rohstoffen, die von unserer Industrie verbraucht werden, sind kaum zu fassen: ca. 100 Milliarden Kleidungsstücke und 23 Milliarden Paar Schuhe werden JÄHRLICH produziert. Das wäre noch nicht mal so tragisch, wenn nicht 97% davon aus neuen Rohstoffen stammen würden und nur ein ganz geringer Anteil aus recycelten Materialien bzw. aus dem geschlossenen Textilkreis. Dies bedeutet, dass jedes Jahr Unmengen an Rohstoffen für die Neuproduktion von Textilien und Schuhen verbraucht werden. Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, welche immense Rohstoffverschwendung dies jedes Jahr aufs Neue ist.
Immerhin sind wir in Deutschland und auch in Teilen von Europa Sammelweltmeister und bringen unsere nicht mehr benötigte oder abgetragene Kleidung regelmäßig zum Textilcontainer. Aber leider wird ca. 50% der gesammelten Bekleidung, welche von den Textilsammlern nicht mehr hochwertig wiederverwendet werden kann, in Drittländer exportiert, endet dort auf Deponien oder sogar im offenen Feuer. Da die Modeindustrie immer mehr dazu übergeht, günstige Bekleidung in hohen Zyklen für die modedürstende Gesellschaft zu produzieren, nimmt mit dem Preis auch die Qualität der Textilien ab – und somit landet künftig noch mehr Kleidung auf den Deponien. Dagegen müssen wir vorgehen. Wir haben als Industrie und Gesellschaft eine hohe Verantwortung. Als Industrie müssen wir uns bewusstmachen, was wir der Umwelt antun, wenn wir weiterhin Billigprodukte auf den Markt werfen. Als Endverbraucher muss ich mir aber ebenfalls die Frage stellen, was ich mit meiner Gier nach günstigen Fashion-Produkten anrichte.
Bei Sympatex verwenden wir soweit es geht recycelte und wiederum recycelbare Polyesterlaminate, die die besten Voraussetzungen schaffen, um am Ende des Produktlebenszyklus wieder dem Recyclingprozess zugeführt werden können. Wir haben uns auch parallel mit Marktpartnern zu dem Europäischen Konsortium wear2wear zusammengeschlossen, um die Schließung des Textilkreislaufs im Funktionstextilbereich so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Ziel ist es, aus alten Funktionstextilien wieder neue, hochwertige Funktionstextilien zu erschaffen. Gleichzeitig soll dabei so wenig wie möglich Ausschuss entstehen. Damit ist Textilabfall gemeint, der aufgrund seiner Beschaffenheit nicht wieder dem Textilkreislauf zugeführt werden kann.
Wir haben daher eine eigene Task Force im Unternehmen gegründet, die die Thematik „Design 2 Recycle“ forciert. Wir beraten unsere Partner und Kunden aus dem Sport- oder Fashion-Sektor dahingehend, soweit es geht, sortenrein zu produzieren. Im Fall von Polyester bedeutet dies, auch z.B. Zutaten wie Knöpfe und Zipper aus reinem Polyester oder bereits recyceltem Polyester zu verarbeiten. Je sortenreiner eine Funktionsjacke oder Funktionshose hergestellt wurde und je weniger Nähte sie hat, die wiederum mit nahtverdichtenden Tapes wasserdicht versiegelt werden müssen, desto leichter kann das Funktionstextil am Ende des Produktlebenszyklus wieder recycelt und zu neuer hochwertiger Funktionsbekleidung upgecycelt werden.
Durch recycelte Materialien können auch weitere Kernprobleme der Industrie gelöst oder zumindest verringert werden. Die Modeindustrie ist beispielsweise Mitverursacher der Wasserknappheit, die in vielen Produktionsländern wie Bangladesch oder Indien schon massiv vorherrscht. Der Grund hierfür ist, dass Unmengen an Wasser z.B. für das Waschen oder Färben von Bekleidung verbraucht wird. Allein die indische Textilindustrie beispielsweise verbraucht etwa 1.6 Mrd. Liter Wasser täglich.
Übrigens, wusstet ihr schon, dass Baumwolle einen immensen Wasserverbrauch aufweist? Zwei Drittel des weltweiten Wasserverbrauchs von textilen Materialien geht auf die Baumwoll-Verarbeitung zurück. Ein weiterer Nachteil von Baumwolle ist deren Qualitätsverlust beim Recycling. Anders bei Polyester, welches nach dem Recycling quasi die gleichen Performance-Werte aufweist. Ein weiterer Vorteil ist die Wassereinsparung, wenn man sich für recyceltes Polyester entscheidet. Vergleicht man die Herstellung von 1 kg recycelten Polyesterfasern mit 1 kg erdölbasierten Polyesterfasern ist die Wassereinsparung mit rund 90 Prozent hervorragend – statt 60 Liter Wasser werden auf 1 kg Fasern nur 3 Liter benötigt.
Kann ich mir nachhaltige Mode leisten?
Aktuell sind recycelte oder nachhaltig produzierte Kleidung und auch Schuhe oftmals im Vergleich noch recht teuer. Viele schreckt dies gleich mal ab und sie ordnen nachhaltige Mode in die Rubrik „zu teuer“ ein. Das ist sehr schade, denn gerade in diesem Sektor bewegen sich oft sehr kreative Ansätze. Gerade wenn man nicht unbedingt der X-te sein möchte der mit dem neusten T-Shirt der Marke XY herumläuft, kann man im nachhaltigen Bereich interessante Entdeckungen machen. Gerade dann bin ich vielleicht sogar bereit, den einen oder anderen Euro mehr in die Hand zu nehmen – insbesondere unter dem Aspekt, dass man ja kein billiges „Wegwerf-Produkt“ erwirbt, sondern ein hochwertiges Lieblingsteil, das man schätzt, pflegt und dann wiederum länger trägt.
Außerdem muss es nicht unbedingt immer teurer sein, wenn man ein wenig recherchiert. Grundsätzlich gilt, wie in allen Bereichen in der freien Marktwirtschaft, dass der Preis durch die Nachfrage bestimmt wird.
Treffend sagt Dr. Rüdiger Fox hierzu im oben aufgeführten Interview auf der ISPO 2020: „Je mehr recyceltes Material angefragt wird, desto günstiger wird es und der Markt wird sich schnell drehen“. Dies bedeutet, dass wir es alle ein wenig in der Hand haben, die Mengen – und somit auch den Preis für nachhaltige Mode – positiv beeinflussen zu können. Wenn das keine guten Aussichten sind …
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