Leadership in Zeiten von Corona – “The Power of Distancing”

Persönliche Gedanken eines CEOs – Teil 2

Bild: SympaTex (AdobeStock, SkyLine, Savvapanf Photo, Anton Gvozdikov, Bearbeitung: SympaTex)
Leadership und Corona: Es geht nicht nur darum, eine Pandemie zu stoppen. Das gesamte Ökosystem der Erde ist gefährdet.

Es hat das Potential, zum Wort des Jahres zu werden: „Social Distancing“ bzw. Soziale Distanzierung. Auch wenn der Begriff im Zeitalter der Digitalisierung eigentlich irreführend ist, weil wir gerade in den Wochen der physischen Distanzierung voneinander die sozialen Kontakte über Medien bzw. virtuelle Begegnungen am Bildschirm durchaus intensivieren sollten, so ist er angesichts menschenleerer Städte und Straßen weltweit zum sichtbarsten Zeichen der aktuellen Corona-Pandemie geworden.

Und auch wenn die Strategie zur Abflachung der Kurve nicht unumstritten ist und es immer wieder Stimmen gibt, die sie in Frage stellen – ausgelöst durch die nachvollziehbare Sorge um die Zukunft unserer globalen Wirtschaft, die gerade in Schockstarre verharrt, oder auch nur aus individuellen Entzugserscheinungen, weil unsere globale Konsum-Party so abrupt beendet wurde – so kennt inzwischen jeder die ihr zu Grunde liegende simple Grafik, die zum globalen Menetekel der Pandemie geworden ist:

Quelle: Bundesregierung
Grafik Kurve Corona - "Social Distancing"

Es ist ja auch sehr leicht nachvollziehbar: Ziel von Social Distancing ist es, die Verbreitung der Viruserkrankung durch Covid-19 so zu verlangsamen, dass die Summe der akuten Krankheitsfälle nicht die Kapazitäten des Gesundheitssystems überschreiten. Interessant ist allerdings die Frage, wie es gelungen ist, in einer so unglaublich kurzen Zeit einen Großteil der Weltbevölkerung dazu zu bringen, unabhängig von Staatsform und Kultur diesem Aufruf ohne große Diskussion Folge zu leisten. Denn dass dieses Jahr an Ostern nicht nur der Petersdom, sondern auch weltweit unabhängig von der Konfession die Gotteshäuser genauso leer geblieben sind, wie die Autobahnen, liegt nicht an drakonischen Strafen bei Zuwiderhandlung oder Gewaltandrohung eines diktatorischen Regimes, sondern überwiegend an einer faszinierend schnell sich verbreitenden Einsicht, dass es wichtig ist – für unser eigenes Überleben.

Angesichts von inzwischen knapp 180.000 Toten, die weltweit dem Covid-19-Virus zum Opfer gefallen sind, ist die Angst auch durchaus nachzuvollziehen, dass man selbst in einem Krankenhaus ohne ausreichende Versorgung landen könnten – selbst wenn der ökonomische Preis der Maßnahmen, den wir hierfür in der Zukunft bezahlen müssen, alles bisher Bekannte in den Schatten stellen wird.

Allerdings drängt sich die Frage auf, ob tatsächlich Covid-19 die einzige akute Bedrohung unserer lebenswichtigen Systeme ist oder ob nicht aktuell noch weitere Risiken existieren, auf die man die gleiche Grafik anwenden könnte und auf die wir genauso konsequent reagieren sollten. Und nüchtern betrachtet ist der Virus sicherlich nicht das einzige Damoklesschwert, das über unserer Zukunft hängt – und vermutlich nicht einmal das bedrohlichste.

So starben allein in 2009 durch die Klimaerwärmung bereits rund 315.000 Menschen, erkranken weltweit weitere 5 Milllionen[1] an den Folgen und es war bereits damals absehbar, dass allein die Todesfälle bis 2030 auf über ½ Million jährlich steigen würden[2]. Spätestens seit dem letzten Klimabericht des IPCC aus Oktober 2018 wissen wir, dass wir den CO2-Ausstoß dringend verlangsamen müssen, um nicht bis 2050 die Kapazität unserer ökologischen (und damit auch sozialen) Systeme irreparabel zu überschreiten.

Dennoch reagiert die Welt bei diesem Thema – anders als bei Corona – nur zögerlich und es werden immer wieder wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt, die eine konsequente Verlangsamung der Nutzung von fossilen Energieträgern verhindern. Dabei war hier nie die Rede davon, 95% der weltweiten Flugzeugflotten am Boden zu lassen, die Industrie fast zum Stillstand zu zwingen und den weltweiten Tourismus komplett zu stoppen – wie dies aktuell der Fall ist. Es ging lediglich um ein über mehrere Jahrzehnte hinweg zu steigerndes und daher kontrolliertes „Carbon Distancing“.

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Darstellung der Bundesregierung
"Carbon Distancing"

Daher sollten wir uns in der aktuellen Krise dringend zwei Fragen stellen:

  • Welches sind, objektiv betrachtet, weitere sich anbahnende Krisen, deren Ausbreitung wir zeitnah verlangsamen müssen, um nicht die Kapazität der vorhandenen (sozialen oder ökologischen) Systeme zu gefährden?
  • Und was müssen wir tun, damit wir auch in diesen vergleichbaren Situationen kollektiv zu handeln beginnen?

Die wichtigsten Handlungsfelder sind eigentlich offensichtlich – und selbst die Elite unserer wirtschaftlichen und politischen Führung, repräsentiert durch das World Economic Forum, hat sie längst eingestanden[3]: Klimawandel, Verlust der Bio-Diversität, Abfallberge, Wassermangel, persistente Chemie, soziale Ungerechtigkeit … .

Bild: Ausschnitt aus der "Global Risc Landscape 2020"
Umweltrisiken im Vergleich zum Risiko von Infektionskrankheiten, Massenvernichtungswaffen und Preisinstabilität.Daten: Global Risk Report 2020, World Economic Forum.

Eigentlich müssen wir jetzt lediglich die Bereitschaft entwickeln, wissenschaftliche Tatsachen zu akzeptieren und dann gemeinsam ins Handeln kommen. Gegenüber Covid-19 müssen wir vermutlich lernen, ein wenig genauer hinzuschauen, denn viele dieser Entwicklungen sind schleichender und beherrschen dadurch nicht die Abendnachrichten. Sie haben allerdings alle gemeinsam, dass sie sich immer weiter einem kritischen Zustand annähern, nicht an nationalen Grenzen Halt machen und sich auch nicht via Twitter verjagen lassen.

Die aktuelle Pandemie straft darüber hinaus in zwei Punkten alle bisherigen Zukunfts-Pessimisten Lügen: wir wissen jetzt, dass wir in einer Krisensituation als Globalgesellschaft zu Einsicht sowie kollektiver Handlung fähig sind. Und die saubere Luft über unseren Industriestädten sowie die Delphine in bisher verwaisten Kanälen vor Venedig zeigen uns, dass es sich noch lohnt, zu handeln, weil es noch nicht zu spät ist.

Gleichzeitig merken wir gerade, dass wir vieles von dem, was wir gestern noch für unentbehrlich hielten, doch nicht so existentiell für unsere persönliche Zufriedenheit ist – zumindest nicht in einem Maße, wie wir dies in unserem Rausch nach konstanter Steigerung stillschweigend unterstellt hatten. Und auch wenn wir noch keine Vorstellung davon haben, wie wir unsere Wirtschaft wieder auf ein tragfähiges Niveau zurückbringen oder die Fantastilliarden zurückzahlen können, die aktuell die Regierungen zur Verfügung stellen, so sollten wir doch nicht die Chance ungenutzt verstreichen lassen, die uns die jetzige Erfahrung mit Social Distancing gelehrt hat: Wir können auch bei den globalen Herausforderungen den Gang der Dinge gemeinsam ändern – es liegt in unserer Hand.

Der Klimawandel, die zunehmende Verschmutzung der Landschaften und Meere durch Abfälle, der ungehemmte industrielle Wasserverbrauch in ariden Ländern … all diese Dinge lassen sich unter Kontrolle bringen, wenn wir uns in einem adäquaten kollektiven „Distancing“ üben würden. Das bedeutet nicht Konsumverzicht, sondern lediglich die Bereitschaft zu Augenmaß. Wenn „Climate Distancing“, „Waste Distancing“ und „Overconsumption Distancing“ aus Einsicht und nicht aus Zwang entsteht, ist es keine Bedrohung unserer Freiheit, sondern die Manifestation menschlicher Reife.

Bild: AdobeStock, Sympatex
Im Fall der Corona-Pandemie unterbricht das Social Distancing eine fatale Kettenreaktion. In gleichem Maße brauchen wir ein „Climate Distancing“, „Waste Distancing“ und „Overconsumption Distancing“.

Wir sollten also nicht zulassen, dass diese Pandemie für unsere Wirtschaft nur eine Stoptaste ist, die wir so schnell wie möglich wieder anschalten wollen – sondern sie ein Neustart wird, mit dem wir beginnen,die globalen Systemgrenzen zu respektieren und dort ein kontrolliertes „Distancing“ beginnen, wo wir riskieren, die verfügbaren Kapazitäten von lebenswichtigen Systemen zu überschreiten.

Wir sollten die aktuelle Zeit des Stillstandes nutzen und uns Gedanken machen, wie die Textilindustrie hierbei zum Vorreiter werden kann – durch konsequente Umsetzung der UNFCCC Climate Charter, die Schließung des Kreislaufes bei Synthetik-Materialien zu einer zirkulären Rohstoffwirtschaft, die Vermeidung jeglicher „Ewigchemie“ (PFASs), die Verlangsamung der Modekreisläufe bei gleichzeitiger Erhöhung der Langlebigkeit, gewässerschützende Färbeverfahren und all die anderen Maßnahmen, deren Notwenigkeit uns längst bekannt ist. Und uns dann gemeinsam mit den Konsumenten kollektiv zu einem „Collateral Damage Distancing“ bekennen.

Dr. Rüdiger Fox

CEO Sympatex Technologies GmbH

#NewLeadership #CarbonDistancing #WasteDistancing #ItsInYourHands #ClosingTheLoop #CollateralDamageDistancing
[1] World Health Organization (WHO) and the University of Wisconsin at Madison, 2009
[2] Global Humanitarian Forum, 2009
[3] „The Global Risk Report“, World Economic Forum

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