Kim Scholze über den Munich Fashion Award 2025

Ein Gespräch über Sichtweisen, Verantwortung – und warum Unterschiede keine Hürde, sondern eine Stärke sind.

Ein Interview von Helena Gillerblad (Mai 2025)

Mantel by Kilian Kerner

1. Kim, du hast gemeinsam mit Lara Gonschorowski den Munich Fashion Award 2025 moderiert. Zwei Frauen auf der Bühne – aber mit ziemlich unterschiedlichen Perspektiven. Wie kam das zusammen?

Ganz ehrlich: Am Anfang war es eine Herausforderung. Lara kommt aus dem klassischen Modejournalismus – sie liebt Mode über Menschen, Biografien, Inspiration. Ich komme aus der Sportartikel- und Outdoorbranche mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Industrie. Ich denke in Systemen, in Wirkung, in Veränderung. Zwei verschiedene Zugänge – aber mit einer gemeinsamen Richtung: Zukunft gestalten.

Und genau das wollten wir auch zeigen: Wir haben bewusst unterschiedliche Fragen gestellt. Lara fragte: Wann hast du dich zum ersten Mal für Mode interessiert? Ich fragte: Was bedeutet Nachhaltigkeit, wenn du als Designer:in neue Produkte erschaffst? Beides hatte Platz – weil klar ist: Es geht heute nicht mehr ohne die Verbindung aller Themen.

2. Wie habt ihr das in der Moderation konkret gelöst?

Durch ehrlichen Austausch – und eine Struktur, die das möglich gemacht hat. Das Team von Kreativ Münchenhat den Rahmen geschaffen, insbesondere durch die Projektleitung von Mirjam Smend, die den Munich Fashion Award verantwortet hat. Kein „mal schauen“, sondern Strategie, Klarheit, Tiefe.

Mirjam hat diese Komplexität geordnet – nicht um sie zu glätten, sondern um sie sichtbar zu machen. Ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeit. Gerade weil sie oft die Reibung zwischen unterschiedlichen Sichtweisen als Roadblock hätte empfinden können – und trotzdem Brücken gebaut hat.

3. Der Munich Fashion Award will München als europäische Nachhaltigkeitshauptstadt in Sachen Mode positionieren. Ist das gelungen?

Die Arbeit des Teams von Kreativ München, unter Leitung von Mirjam Smend, die organisatorische Umsetzung durch den Fashion Council Germany, die großartige Jury und die engagierten Partner:innen haben disruptive Kraft freigesetzt. Es ging nicht darum, Nachhaltigkeit zu behaupten, sondern sie zu zeigen: in Design, in Haltung, in Wirkung.

Die zehn Finalist:innen haben das eindrucksvoll bewiesen. Jede:r von ihnen war ein Role Model – nicht durch perfekte Lösungen, sondern durch den Willen, Verantwortung zu übernehmen.

4. Was hat dich bei den Finalist:innen besonders beeindruckt?

Jede:r einzelne hatte eine eigene Handschrift – und eine klare Botschaft:

  • Estelle Trasoglu verbindet mit Plaid-à-Porter Komfort, Erinnerung und Zero-Waste. Ihre tragbaren Steppdecken erzählen Familiengeschichten und zeigen, wie Wärme und Ästhetik Hand in Hand gehen können.
  • Mitya Hontarenko von PLNGNS steht für kompromisslose Streetwear aus gebrauchten Materialien – ein klares politisches Statement, entstanden mitten im Krieg, umgesetzt mit wirtschaftlicher Schärfe.
  • Sebastian Thies (nat-2) denkt radikal in Werkstoffen: Sneaker aus Roseblättern, Krankenhausmaterial oder Blut – kein Effekt, sondern echte Ressourcennutzung, technisch brillant umgesetzt.
  • Federico Cina erzählt mit regionaler Produktion aus der Romagna von Identität, Herkunft und der Kraft lokaler Kreisläufe – seine Tortelloni-Bag ist längst ikonisch.
  • Tina Lutz Morris beweist mit luxuriösen Taschen „Made in Germany“, dass Verantwortung nicht sichtbar sein muss, um stilprägend zu sein.
  • Martina Boero (Cavia) dokumentiert mit Strick und textilen „Reisepässen“ Herkunft, Transformation und Transparenz – jedes Stück ist ein Gegengewicht zur Fast Fashion.
  • Christian Huygens & Natalia Golubenko von Selva Huygens zeigen Accessoires als Kunstform – mit Materialien aus der Autoindustrie und einem radikal individuellen Blick auf Schönheit.
  • Luca Reinhardt & Achim Wünsch (halfs) modernisieren den Haferlschuh und machen aus Tradition ein starkes Statement für Handwerk, Langlebigkeit und regionale Produktion.
  • Matthias & Johannes Schweizer (OBS) entwickeln Taschen mit minimalistischem Anspruch und maximaler Konsequenz: 90 % der Produktion in Deutschland, 100 % Funktion, 0 % Ornament.
  • Und dann war da natürlich auch die Jury – unter anderem mit Christiane Arp, Li Edelkoort, Veronica Bates-Kassatly oder Troy Nachtigall. Kompetenz trifft Vision.

Kein Buzzword-Bingo, sondern echte Ideen.

5. Was war deine eigene Rolle auf der Bühne?

Ich habe nicht moderiert, um zu unterhalten – sondern um Klarheit zu schaffen. Ich wollte die Designer:innen nicht ausstellen, sondern ernst nehmen. Wenn jemand über regeneratives Leder spricht, will ich wissen, wie das geht. Wenn jemand sagt, „wir arbeiten nachhaltig“, frage ich, was das konkret in ihrer Supply Chain heißt.

Ich sehe mich als Verstärkerin für die Dinge, die oft zu leise gesagt werden. Und ich will Fragen stellen, die andere inspirieren, weiterzudenken. Nicht weil ich alles weiß – sondern weil ich, wie viele im Raum, auch Antworten suche.

6. Was unterscheidet die neue Designgeneration von etablierten Marken?

Die jungen Designer:innen starten mit Nachhaltigkeit. Für sie ist das kein Zusatz, sondern der Ausgangspunkt. Das verändert alles – vom Material bis zum Geschäftsmodell.
Die etablierten Marken denken oft noch in Kampagnen. Die neue Generation denkt in Zyklen.

7. Der Munich Fashion Award setzt auf Technologie, Kreislauf und Ästhetik. Was ist am schwersten davon umzusetzen?

Kreislauf.
Ein Produkt so zu gestalten, dass es reparierbar, recycelbar, langlebig – und trotzdem begehrenswert ist, ist extrem anspruchsvoll. Das ist kein Designproblem, sondern eine

Systemfrage. Bei Sympatex arbeiten wir mit Fiber2Fiber, um Materialien in den Kreislauf zurückzubringen – ohne Qualitätsverlust. Das ist die Herausforderung: wirtschaftlich, gestalterisch, strukturell.

8. Ihr habt sehr gutes Feedback für eure Moderation bekommen – professionell, klar, souverän. Was war für dich persönlich das größte Learning?

Vielleicht eher eine Bestätigung: Unterschiedlichkeit ist keine Schwäche – wenn man sie sichtbar macht.
Klarheit ist kein Gegensatz zu Empathie. Und Fragen zu stellen ist nicht nur Methode, sondern Haltung.

Ich bin Moderatorin – was für eine Ehre. Aber ich bin auch Kollegin, Geschäftsführerin, Partnerin, Mutter, Mensch. Und hoffentlich: Changemakerin.
Ich brauche Tempo, Fokus, Wirkung. Ich glaube: Wir alle suchen nach Antworten. Und genau deshalb stelle ich Fragen wie: Was meint ihr wirklich, wenn ihr von Veränderung sprecht?

9. Wenn du dem Munich Fashion Award ein Zukunftsversprechen mitgeben dürftest – was wäre es?

Bleibt unbequem. Gebt den Designer:innen nicht nur Applaus – gebt ihnen Einfluss. Lasst Form und Inhalt weiterhin gleichwertig nebeneinander stehen. Und ich, ganz persönlich, wünsche mir, dass dieser Award gemeinsam mit anderen Plattformen weiterwächst – nicht in Konkurrenz, sondern im Schulterschluss.

Danke, Kim.
Du kannst dir die vollständige Preisverleihung auf YouTube ansehen: https://www.munichfashionaward.com/

 

Inhalt