Jeder braucht ab und zu einen HELMUT

Von meiner ersten Erfahrung als Gastgeberin des Sympatex Kaffee-Roulettes.

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HELMUT - zu diesen sechs Werten hat sich das Sympatex Team committet.

Wer sich über veraltete Strukturen und Gesetze hinwegsetzen und neue Wege einschlagen möchte, kommt manchmal nicht umhin, sich auf Experimente einzulassen, deren Ausgang ungewiss ist. Über den Aufbruch eines Teams ins Zeitalter der „Agilen Organisationsstruktur“.

Der Wecker klingelt, es ist sieben Uhr morgens und ich stehe direkt auf. Da ich mich eher zur Gattung Nachtmensch zähle, gehört es nicht zu meinen Gewohnheiten, morgens wie ein Flummi vergnügt aus den Federn zu springen. Meistens ist die Snooze-Taste mein bester Freund.

Heute ist es mal anders, denn das Kaffee-Roulette startet im Büro. Mal sehen, wie meine Idee in der Praxis ankommt. Ich springe unter die Dusche. Während ich mir die Haare shampooniere, gehe im Geiste noch einmal den Ablauf durch, bei dem vier meiner Kolleginnen und Kollegen für eine halbe Stunde zum Kaffee-Klatsch zusammenkommen werden. Sie dürfen über alles reden, was ihnen in den Sinn kommt – ohne vorgegebene Regeln. Alles kann, nichts muss. Ich habe es Roulette genannt, weil sie nach dem Zufallsprinzip zusammengewürfelt sind. Keiner – außer mir als heutige erste Gastgeberin – weiß, auf welche drei Personen er oder sie heute treffen wird. Spannend, oder?

Vielleicht fragen Sie sich gerade, warum die Angestellten bei Sympatex an einem Donnerstag Ende September Kaffee trinken, anstatt sich mit der Entwicklung der nächsten Winterkollektion von Funktionstextilien zu beschäftigen? Diese Frage ist durchaus berechtigt. Die Antwort lautet: es ist beides gleich wichtig, oder besser noch, das eine befeuert das andere. In diesem Fall bewirkt das gemeinsame Kaffeetrinken vielleicht eine bessere oder noch nachhaltigere Winterkollektion. Das klingt vielleicht weit hergeholt, ist es aber nicht – jedenfalls nicht, wenn man HELMUT schon kennengelernt hat.

Wer oder was ist bitte HELMUT?

HELMUT ist eine Abkürzung für unser neues Miteinander als Team. Es ist ein Akronym, das für Heiterkeit, Ein Ziel, Loyalität, Mut, Umwelt und Transparenz steht. Zu diesen sechs Werten haben wir uns Anfang Juli diesen Jahres als Team gemeinsam committet, um unseren Teamgeist und letztendlich unsere gemeinsame Arbeit künftig nach dieser klaren Linie auszurichten. Unterstützt werden wir von Stella und Mariola von der Münchner Agentur Tealfox, welche sich darauf spezialisiert haben, Mittelständler bei internen Transformationsprozessen zu begleiten. Drei Tage lang haben wir uns in unseren Büros in Unterföhring eingeschlossen und nichts anderes getan, als HELMUT aus der Taufe zu heben – unser neues Team-Projekt, das für einen neuen Teamgeist und ein neues Miteinander in unserer noch recht jungen Organisationstruktur der „Agilen Organisation“ bei Sympatex sorgen soll.

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Teambuilding - manchmal hilft es schon, einen kleinen Schritt nach Draußen zu machen.

Es fühlt sich an wie in einem Start-up

Gibt es keine anderen Themen in diesen Zeiten? Sind das nicht Luxusprobleme, fragen Sie sich vielleicht. Ganz im Gegenteil – ich bin mir sicher, dass es ein Problem ist oder werden kann, sich jetzt NICHT diesen Themen und Herausforderungen als Team zu stellen. Wir sind als Unternehmen, aber auch als Branche und vor allem auch als Gesellschaft aktuell in einem großen Transformationsprozess. Sympatex hat sich beispielsweise in den vergangenen drei Jahren beinahe um 180 Grad gedreht – im Prinzip seit unser jetziger CEO Dr. Rüdiger Fox im Juli 2016 bei uns eingestiegen ist. Wir haben seitdem alte Strukturen und Ziele hinter uns gelassen und uns nach nur einer einzigen Zielsetzung neu ausgerichtet: ganzheitliche Nachhaltigkeit. Konkret wollen wir so schnell es geht den Textilkreislauf schließen – gemeinsam mit der Branche, unseren Kunden, den Endverbrauchern und auch mit der Politik. Nach dieser Vorgabe ist seither bei Sympatex alles ausgerichtet, jede noch so kleine Entscheidung eines jeden einzelnen Team-Mitglieds wurde diesem Ziel unterstellt. Und obwohl es uns schon mehr als drei Jahrzehnte gibt, fühlt es sich mit der Neuausrichtung unseres Unternehmensziels manchmal fast schon an, als wären wir noch ein Start-up – aber eines mit einer über 30-jährigen Erfahrung.

Was wir auf diesem spannenden Weg bisher jedoch vergessen haben – obwohl es gerade in beinahe jeder Zeitschrift behandelt wird – ist das Thema „Achtsamkeit“. Wir haben uns so sehr auf dieses eine Ziel konzentriert, auf die Forschung und Entwicklung von nachhaltigeren Funktionstextilien, auf neue Kooperationen und Investitionen in Recyclingtechnologien, dass wir uns als Menschen und als Team vergessen haben. Kein Wunder also, dass es anfing unter der Oberfläche zu brodeln. Und als uns klar wurde, dass es für ein gutes Ziel auch ein gutes Team braucht, da kam HELMUT ins Spiel.

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Was macht ein Team teamfähig? Dieser Frage ging Sympatex bei der Geburt von HELMUT Anfang Juli nach.

Wir schlossen uns also Anfang Juli quasi drei Tage am Stück in unseren Büros in Unterföhring ein und begannen zu diskutieren, zu brainstormen und zu lernen, gewaltfrei zu kommunizieren. Dabei sind viele spannende Ideen aufgetaucht und HELMUT ist dabei entstanden. Ein wichtiger Erkenntnisprozess in diesen drei Tagen war auch, dass jeder mitverantwortlich für das Gelingen von HELMUT ist – und dass in einer Firma mit so flachen Hierarchien wie bei uns, Veränderungen und Ideen wesentlich wirksamer und leichter umsetzbar sind, als in einer Konzernstruktur, war schon in diesen drei Tagen spürbar.

Grafische Visualisierung © Carolin Görtler
Unsere neuen gedanklichen Visionen wurden von der Illustratorin Carolin Görtler gleich visuell zum Leben erweckt.

Die Geburtsstunde des Kaffee-Roulettes

Was bei all den Diskussionen und Gesprächen immer wieder gewünscht wurde, war die Verbesserung der Kommunikation und mehr Verständnis untereinander. Das hat mich sehr beschäftigt und ich habe mich gefragt, wie sich Sympatex Mitarbeiter aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen zwanglos besser kennenlernen könnten. Als wir in einer Pause draußen auf unserer selbstgebauten Terrasse saßen, kam mir plötzlich die Idee mit dem Kaffee-Roulette. Glücklicherweise fand meine Idee Anklang – das Kaffee-Roulette war geboren.

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Gemeinsames Brainstorming im Freien - weckt die Kreativität und sorgt für mehr Teamgeist.

Das Experiment beginnt

Kurz nach dem Betreten des Büros flitze ich zwischen meinem Schreibtisch, der Kaffeemaschine und den roten Stehtischen, wo das Treffen gleich stattfinden sollte, hin und her. Die Gastgebergeschenke habe ich zwar vorbereitet und auch mein selbstgebasteltes Plakat mit der Aufschrift „HERZLICH WILLKOMMEN ZUM KAFFEE-ROULETTE! SCHÖN, DASS DU DIR HEUTE ZEIT FÜR DEINE KOLLEGEN NIMMST“ hängt schon seit gestern Abend in großen gelben und lila Lettern an der Wand im 2. Stock, doch bis jetzt weiß ich nicht, wer meine Gäste sind. Das haben wir so vereinbart. Jeder aus unserem Team wird jede Woche einmal Gastgeber sein – und soll sich selbst überraschen lassen. Erst kurz vor dem Start wird mich meine Projektkollegin Steffi informieren, wer meine Gäste sein werden.

Ich hoffe natürlich, dass es vier Kollegen sein werden, die sich etwas zu sagen haben. Ich bin mir aber nicht 100 pro sicher, ob wirklich alle freiwillig bei diesem Experiment mitmachen. Der Gruppen- bzw. Team-Zwang ist vielleicht nicht zu unterschätzen. Schließlich möchte sich doch niemand als unkooperativ oder als nicht teamfähig outen. Es wird schon gut laufen, unterbreche ich mein Gedankenkarussell. Ich fahre den PC hoch und öffne meine Mails. Steffi hat schon geschrieben. Nur noch einen Klick von der Lüftung des Geheimnisses entfernt. Tadaa… ah die Zusammensetzung könnte durchaus interessant werden.

Ist das Kaffee-Roulette übertragbar auf den Arbeitsalltag?

Um kurz vor 10 Uhr warte ich dennoch etwas hibbelig am Tresen auf meine Gäste. Sollte ich noch Wasser bereitstellen? Ich hole schnell noch ein paar Flaschen und Gläser. Ich hoffe, ich finde die richtigen Einstiegsworte. Jeder sollte sich doch gleich wohlfühlen. Bis auf eine sind alle pünktlich. Nach einer kurzen Begrüßung und nochmaligen Erklärung, dass diese halbe Stunde vollkommen ihnen gehört, nehme ich mich bewusst zurück und warte ab, was geschieht. Recht bald kristallisiert sich ein Gesprächsthema heraus – Sport.

Die noch fehlende vierte Teilnehmerin kommt plötzlich angehetzt – sich vielmals entschuldigend. Alle reagieren verständnisvoll. Mein Gastgeberanteil meldet sich innerlich und reflektiert schon inmitten des noch laufenden Gesprächs. Vermeintliche Fehler werden in dieser Gruppe also nicht verurteilt. Im Gegenteil, jeder weiß wie hektisch unser Tagesgeschäft oft ist – da kann ein freiwilliges Experiment schon mal unter gehen. Oder ist das nur der lockeren Kaffee-Roulette-Situation geschuldet, die nicht auf den Arbeitsalltag übertragbar ist?

Schallendes Lachen reißt mich aus den abschweifenden Gedanken. Unser Spaßvogel Bernhard hat wieder mal einen Witz gerissen. Er macht sich über den ewigen Selbstoptimierungswahn der Großstädter lustig. Yoga, Meditieren, Tai Chi, was sollte man denn noch alles machen? Sabrina hält dagegen. Ihre tägliche Yoga-Einheit ist ihr absolut heilig. Bernhard wüsste ja gar nicht, was ihm da entgehe. Jetzt steigt auch die etwas schüchterne Angie mit ein. Sie kann Bernhard nur beipflichten. Sie wüsste nicht, ob sie es hier so offen aussprechen könnte, aber dieser Sportwahn und diese Bergflucht der Münchner gehe ihr schon lange auf den Zeiger – auch wenn Sympatex natürlich von der boomenden Outdoorbranche profitiere. Nun meldet sich unser ruhiger Kollege aus der IT auch mal zu Wort. Er sehe das auch noch aus dem Nachhaltigkeitsaspekt recht kritisch. Müsse man denn mit den ganzen SUVs in die Berge heizen? Schließlich gäbe es doch auch die Möglichkeit mit der bayerischen Oberlandbahn zum Ausflugsort zu kommen. Er habe auch kürzlich eine TV-Reportage im dritten Programm gesehen, wo es um die Ausbau von Erlebnisparks im Alpenvorland ging. Reine Profitgier am Berg, so seine Einschätzung. Fast tut es mir leid, meine Gäste auf das langsam nahende Ende unserer halben Stunde hinweisen zu müssen. Ich gebe noch fünf Minuten dazu, da ich sie nicht abrupt unterbrechen möchte. HELMUT hatte sich tatsächlich schon in einigen Aspekten der Diskussion wiedergespiegelt. Etwa Mut, auch mal eine eher kontroverse Meinung zu vertreten, aber auch Transparenz und Umwelt – Heiterkeit sowieso.

Mit einer kleinen Verabschiedungsrede bedanke mich schließlich bei allen und überreiche jeder Kollegin noch einen Briefumschlag. Er enthält mein Gastgeschenk – Karten mit verschiedenen inspirierenden Weisheiten, die sie in ihren Tag hineinbegleiten sollen. Ein Spruch hat mir selbst besonders gut gefallen „Never Stop Exploring“ – fast hätte ich die Karte für mich behalten.

Als die Gäste gegangen waren, blieb ich noch kurz am Tresen zurück und frage mich, warum ich die Karte gerne behalten hätte. Was wollte ich selbst denn schon lange mal neu entdecken? Nach kurzem Nachdenken fällt mir meine Mundharmonika ein. Die kläglichen Versuche, es mir selbst zu Hause beizubringen sind an Zeitmangel – oder vielleicht eher an der fehlenden Konsequenz – bisher gescheitert. Vielleicht sollte ich doch mal nach einem Workshop Ausschau halten. Gesagt, getan. Zurück am Schreibtisch google ich gleich danach und schon springt mir ein Herbstkurs in der Münchner Musikschule ganz in der Nähe des Büros ins Auge. Das Kaffee-Roulette hatte sich also für mich gleich doppelt gelohnt. Und ich hoffe, für die Teilnehmer war es ebenso gewinnbringend.

Eigentlich braucht doch jeder ab und zu mal einen HELMUT, finden Sie nicht?

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