„Ich bin nicht als Hardcore-Öko auf die Welt gekommen“
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Interview mit bleed Gründer Michael Spitzbarth
Das fränkische Modelabel bleed produziert nicht nur ökologisch und sozial – die gesamte Kollektion ist auch noch nachhaltig und tierleidfrei. Michael Spitzbarth ist der Gründer der nachhaltigen Brand, die faire und stylische Alltags- und Sportmode für Frauen und Männer herstellt. Im Interview mit Sympatex hat er verraten, wie es als kleines Label unter Big Playern ist, warum man nachhaltige Kleidung kaufen sollte und wieso sich ein veganes Label ausgerechnet „bleed“ nennt.
Gegründet wurde bleed in Helmbrechts bereits 2008 von dir, Michael – wie kam es dazu?
Michael: „Ich komme aus der Sportszene und war jahrelang professioneller Skateboarder, bin viel gesurft und im Winter war ich beim Snowboarden. Schon damals war ich sehr verwundert, wie der Mensch mit dem Planeten umgeht. Und darüber, wie wenig nachhaltig Produkte in der Sportswear-Branche designt werden – besonders im Bereich Outdoor. Durch meine Arbeit als freischaffender Designer für verschiedene Firmen, bekam ich tiefere Einblicke in die Branche und habe auch damals schon versucht, die Produktion in die richtige Richtung zu lenken. Aber im Jahr 2006 hatte noch niemand ein offenes Ohr für dieses Thema. Zwar gab es auch damals schon nachhaltige Bio-Brands, aber diese hinkten natürlich style-technisch stark hinterher – ich hätte deren Sachen niemals angezogen! Dadurch kam mir die Idee, selbst aktiv zu werden und ein eigenes Label zu gründen, das beides vereint: Nachhaltigkeit und Style.“
Wieso ausgerechnet der Name bleed? „Bluten“ klingt erstmal ungewöhnlich für ein Modelabel.
Michael: „Als Skateboarder war ich schon immer sehr progressiv und wollte auf keinen Fall etwas mit „öko“ oder „bio“ im Namen haben, sondern etwas Revolutionäres. Die Leute sollen durch den Namen wachgerüttelt und auf das ausbluten des Planeten aufmerksam gemacht werden.“
Wie schwer ist es, als kleines Label überhaupt Fuß zu fassen in einem von großen Playern dominierten Markt?
Michael: „Wir haben ganz klassisch auf der Sportartikelmesse ISPO angefangen, Kontakte mit Händlern aufzubauen. Der Gewinn des „Brand New Award“ und die darauffolgenden zwei Jahre im „Brand New Village“ haben uns dabei sehr geholfen. Denn besonders am Anfang ist es sehr schwer, die Händler von einem neuen Produkt zu überzeugen. Ich habe damals selbst den Vertrieb gemacht und in der Regel von 9 von 10 Händlern eine Absage bekommen. Für das Thema Nachhaltigkeit hat sich damals einfach niemand interessiert – da war das Thema Marge wichtiger. Das demotiviert natürlich sehr.
Ich denke heute ist es einfacher als damals. Bei der Gründung von bleed war die Welt noch nicht so stark geprägt von den sozialen Medien und den zahlreichen neuen Marketingmöglichkeiten dadurch. Heute braucht man keine großen Messen oder den Handel, um eine Marke erfolgreich auf den Markt zu bringen.
Vor allem in der Outdoor-Branche findet heutzutage ja ein großer Preis- und Wettkampf statt. Ist es in diesem Bereich des Fashion-Business besonders schwer Fuß zu fassen?
Michael: „Ich denke das Outdoor-Business ist hier vergleichbar mit dem regulären Fashion-Business. Sobald man über den Einzelhandel gehen muss, braucht man Jahre um eine Marke zu lancieren. Heute kann man zum Glück vieles über den Direktvertrieb machen – es gibt mittlerweile Labels, die ihre Produkte nur über Instagram vermarkten. Durch diese schlanken Vertriebsstrukturen spart man als Label natürlich große Kosten. Das ermöglicht es auch kleineren, nachhaltigen Brands, ihre Produkte zu vertreiben – was ich toll finde, da es dadurch mehr Vielfalt auf dem Markt gibt.“
Ihr bezeichnet euch als 100% eco, 100% fair und vegan – wodurch genau zeichnen sich bleed-Produkte noch aus?
Michael: „Der Dreiklang ökologisch, sozialverträglich und tierleidfrei ist uns sehr wichtig. Diese drei Punkte in Kombination mit Style und Funktion sind bei uns oberstes Credo. Damit haben wir die Marke aufgebaut und behaupten uns auch nach wie vor sehr gut auf dem Markt.“
Was sind die größten Herausforderungen, Vorteile oder Nachteile bei einer nachhaltigen Kleiderproduktion?
Michael: „Eigentlich hat man dadurch nur Nachteile (lacht)…gerade aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Man hat höhere Kosten in der Produktion, die Produktentwicklung dauert oftmals viele Jahre, die Materialien sind im Einkauf wesentlich teurer und die Marge fällt dadurch natürlich weitaus geringer aus. Als Betriebswirtschaftler würde man also sagen, das macht keinen Sinn. Aber wenn man ein cooles und zugleich nachhaltiges Teil designt und produziert hat, dann sieht diesen Mehrwert am Ende auch der Kunde und wir können das Produkt dadurch vermarkten. Man braucht am Anfang zwar mehr Geld und einen langen Atem, aber im Nachhinein lohnt es sich!“
Ihr habt als eine der ersten Brands auf das Thema Klimaneutralität gesetzt und die erste klimaneutrale Funktionsjacke mit Sympatex auf den Markt gebracht. Wie kam es dazu?
Michael: „Tatsächlich kamen wir über Sympatex auf das Thema Klimaneutralität und die Möglichkeit der Kompensation bzw. Zusammenarbeit mit ClimatePartner. Mittlerweile ist unser ganzes Unternehmen klimaneutral. Und wir nehmen alle Erfahrungen und Learnings auch immer mit in unsere nächsten Produktentwicklungen. Mit einer nahen Supply-Chain und recycelten Rohstoffen können wir den CO2-Ausstoß bei der Produktion unserer Sympatex-Jacken, Better Climate-Sweater oder unseren „ECO4 Sneakers“ von vornherein senken. Die Challenge ist ja nicht einfach irgendwie zu produzieren und danach das CO2 zu kompensieren, sondern die Produktentwicklung von vornherein möglichst klimafreundlich zu gestalten.
Für welches Kompensationsprojekt habt ihr euch bei ClimatePartner entschieden und warum?
Michael: „Wir haben aktuell zwei verschiedene Projekte. Für die Company haben wir das Projekt Saubere Kochöfen in Bangladesch. Für die Projekte mit Sympatex haben wir uns für das Thema Waldschutz, genauer gesagt den Kasigau Wildlife Corridor in Kenia entschieden. Dieses Waldgebiet und die dort lebenden Tierarten sind von massiver Abholzung und Brandrodung bedroht. Da uns der Tierschutz sehr am Herzen liegt, haben wir uns für dieses Klimaprojekt entschieden.“
Welchen Einfluss hat eine nachhaltige Produktion auf den Preis? Denn neben Style und Funktion spielt dieser beim Kunden oft die größte Rolle, oder?
Michael: „Der Preis ist definitiv ein Knackpunkt, der in der Produktion liegt. Wenn ich eine zu 100% ethische, sozialverträgliche und ökologische Produktion in Europa haben will, dann zahle ich dafür natürlich wesentlich mehr, als wenn ich in Bangladesch unter den übelsten Bedingungen produzieren lasse. Generell ist es aber in der Fast Fashion-Industrie schwieriger, als im Outdoor- und Sportbereich, da hier allgemein andere Preisstrukturen vorherrschen. Eine Funktionsjacke wird im Laden meist für 300-400€ angeboten – bei so einem Verkaufspreis kann ich auch eine nachhaltige Jacke produzieren und habe trotzdem noch genug Marge. Es ist aber utopisch zu glauben, man könnte eine Jeans für 20€ nachhaltig produzieren. Bei bleed kostet eine zertifizierte Bio-Jeans 99€ – was im Vergleich zu anderen Markenherstellern, die nicht nachhaltig produzieren, aber trotzdem ein fairer Preis ist. Es ist auch unser Anspruch, alle Produktpreise erschwinglich zu gestalten.“
„Zu einem nachhaltigen Lifestyle inspirieren, der Spaß macht und einfach in das tägliche Leben zu integrieren ist“ – ist eure Mission. Wie funktioniert das in der Praxis bei bleed?
Michael: „Ich bin nicht als Hardcore-Öko auf die Welt gekommen. Ich war hauptsächlich Sportler und Skateboarder und habe mich relativ wenig mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Ich bin erst durch meine beruflichen Erfahrungen in der Textilbranche wachgerüttelt worden und habe dann schnell gemerkt, dass das Thema Nachhaltigkeit unfassbar komplex ist. Man hat zig verschiedene Ansatzpunkte, Wege und Möglichkeiten nachhaltiger zu sein. Aber viele Menschen denken es geht vor allem um Konsum- und Spaßverzicht. Deswegen haben sie oftmals regelrecht Angst vor dem Thema Nachhaltigkeit. Diese Angst versuchen wir den Konsumenten zu nehmen und ihnen stattdessen einen nachhaltigen Lifestyle als Credo entgegenzusetzen. Viele Kunden sind dadurch mittlerweile zu Fans geworden und folgen uns nach: denn nachhaltiger Lifestyle kann cool und einfach sein.“
Welche spannenden Neuheiten gibt es aktuell bei bleed?
Michael: „Wir haben nun den Schritt gewagt, uns mehr und mehr aus der Modewelt zurückzuziehen. Wir waren eigentlich ein klassisches Streetwear-Brand, das nebenher auch Funktionskleidung entwickelt hat. Aber wir haben dieses Jahr den Fokus auf den Funktionsbereich verstärkt und eigene Sportkollektionen für die Bereiche Laufen, Yoga und Wandern entwickelt. Wir wollen uns mit innovativen, nachhaltigen und hochfunktionellen Materialien, die eine super Performance bieten, im Funktionsbereich weiterentwickeln.“
Gibt es demnächst auch wieder neue Produkte mit Sympatex? Wenn ja, was genau und wann?
Michael: „Mit der Sympatex-Membran entwickeln wir zurzeit neue Regen- und Winterjacken und arbeiten auch im Bereich Schuhentwicklung an einem neuen wasserdichten Winterschuhprodukt. Die nachhaltige Produktentwicklung ist jedoch sehr zeitaufwendig und dauert gut und gerne mehrere Jahre.“
Was ist dein Highlight-Produkt aus der bleed-Kollektion?
Michael: „Ich mag meine Sympatex-Funktionsjacke und meine bleed-Sneaker und natürlich meine Beanie, die ich immer auf dem Kopf habe. Das sind meine Favourite-Pieces. Und ich liebe auch mein einfarbiges, weißes T-Shirt aus Kapok – eine ganz tolle Naturfaser!“
Welche (weiteren) nachhaltigen Materialien verarbeitet ihr?
Michael: „Zum einen sind das biologisch abbaubare Fasern wie z.B. TENCEL™, Bio-Baumwolle und Hanf, zum anderen recycelte Stoffe wie z.B. die Sympatex-Membran oder Econyl. Mit diesen beiden Produktkategorien arbeiten wir: biologisch abbaubar oder recyclingfähig.“
Wo lasst ihr eure Kollektion produzieren?
Michael: „80% in Portugal, ein bisschen was in Kroatien und ein paar Prozent in China. Leider gibt es gerade im Hanffaserbereich aktuell noch keine europäische Alternative zu Asien. Hierzulande wurde diese Entwicklung definitiv verschlafen. Aber auch generell versuchen wir möglichst regional zu arbeiten, wir haben beispielsweise die Sommerkollektion komplett im Fichtelgebirge in Bayern fotografiert. Ohne große Flugreisen und mit einer Produktionscrew aus der Region – außerdem haben wir hier in Franken auch unser bleed-Headquarter geschaffen – inklusive 100 Quadratmeter Concept Store. Hier ist alles unter einem Dach vereint.“
Wo siehst du bleed in 5 Jahren? Hast du schon konkrete Zukunftsvisionen? Oder möchtest du aktuell lieber keine Zukunftsprognose abgeben?
Michael: „An irgendetwas muss man ja glauben, oder? Und ich glaube, dass aufgrund des Reset-Button Corona die Menschheit vielleicht die Augen aufmacht und innehält – andernfalls hätten wir alle wohl genauso weitergemacht wie bisher. Daher habe ich aktuell eher Hoffnung auf eine positivere Zukunft. Wir bei bleed entwickeln jedenfalls weiter kreative Ideen wie gehabt und nutzen die gewonnene Zeit, um an unserem Konzept, neuen nachhaltigen Produkten und coolen Alternativen zu arbeiten.“
Vielen Dank für das Gespräch!
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