Der Staat muss Rollenvorbild werden

Auch die öffentliche Hand wird aufgefordert umzudenken!

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Sympatex Ecology Loop

Der folgende Beitrag zeigt einen Ausschnitt der Sympathy Lab Folge 5, in der Anna Horschick, Fachanwältin für Vergaberecht bei Bird & Bird, und Dr. Rüdiger Fox, CEO bei Sympatex, den aktuell sichtbaren Umbruch in der öffentlichen Beschaffung diskutieren. Gleichzeitig zeigen wir eine Übersicht zu den aktuellen Geschehnissen hinsichtlich „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz” und „Kreislaufwirtschaftsgesetz“.

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Das Qualitätssicherungsteam kontrolliert Arbeitsjacken.

Nachhaltigkeit erzeugt keine Mehrkosten, es erlaubt höchstens weniger Ersparnisse. Wir können weniger auf Kosten anderer sparen und nur nicht mehr so schummeln wie vorher und das ist wichtig.

Dr. Rüdiger Fox, CEO bei Sympatex

Kreislaufwirtschaft in der öffentlichen Beschaffung

Anlässlich der General Police Equipment Exhibition & Conference® (GPEC) vom 31. Mai 2022 – 02. Juni 2022 in Frankfurt am Main diskutierten Anna Horschick, Fachanwältin für Vergaberecht bei Bird & Bird, und Dr. Rüdiger Fox, CEO bei Sympatex, im Sympathy Lab, den aktuell sichtbaren Umbruch in der öffentlichen Beschaffung.

Die öffentliche Hand bezeichnet den gesamten öffentlichen Sektor. Sprich die Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden), sowie andere Körperschaften des öffentlichen Rechts. Öffentliche Beschaffung beinhaltet die Versorgung mit benötigten Gütern, die nicht selbst erstellt werden. Der Käufer gehört demnach dem öffentlichen Sektor an, der Waren oder Dienstleistungen für den öffentlichen Bedarf einkauft.

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Polyestergranulat

Das Gesamtvolumen der öffentlichen Beschaffung in Deutschland liegt bei ca. 260 Mrd. Euro jährlich, dies entspricht etwa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Mit diesem Volumen und mit dem damit verbundenen Potenzial bietet sich die Chance aber auch Verpflichtung und ein zunehmender Druck, die Beschaffungsprozesse ökologisch und sozial nachhaltig auszurichten. Konkret bedeutet das, dass Beschaffer:innen durch ihre Vergabepraxis das Handeln ihrer Organisation nachhaltiger gestalten und gleichzeitig den Markt für nachhaltig produzierte Produkte stimulieren können.

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Eine nachhaltige öffentliche Beschaffung integriert soziale und ökologische Kriterien konsequent in Ausschreibungen für öffentliche Aufträge. Doch wissen die Verantwortlichen, wie sie zu einer fairen Zukunft beitragen können? Löblicherweise wird sich vermehrt dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet und viele wichtige Aspekte sind aktuell in Bewegung. So stehen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und das Kreislaufwirtschaftsgesetz derzeit im Fokus.

Und doch sehen Anna Horschick und Dr. Rüdiger Fox eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, zwischen der Gesetzgebung und der Umsetzung.

Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit als Innovation

Deutschland geht immer weiter in Richtung nachhaltige öffentliche Beschaffung. Im reformierten Kreislaufwirtschaftsgesetz ist nun konkret festgelegt, dass Produkte mit ökologisch geringeren Auswirkungen zu wählen sind. Daraus ergeben sich Konsequenzen für Ausschreibungen und Vergabeverfahren. Das weiß auch Anna Horschik, die die öffentliche Hand in der Textilbeschaffung berät. Die zentralen Beschaffungsstellen bewegen im Textilbereich ein enormes Beschaffungsvolumen ( > 99,612 Mio. €/Jahr, Leitfaden_Textilbeschaffung_210129.pdf (bmz.de)). Zwar ist der Umbruch deutlich zu spüren, dennoch gibt es in der Textilindustrie noch deutliches Verbesserungspotenzial, sagt Anna Horschik.

„Im Bereich der Textilindustrie und der Textilverbraucher ist noch Luft nach oben, den massiven Verbrauch zu reduzieren. Und da setzt das Kreislaufwirtschaftsgesetz an. Wir möchten erstmal langlebige Produkte haben, wir wollen recycelbare Produkte haben, wir wollen aber auch reparieren.“

Anna Horschick

Am 1. Juni 2012 trat das Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft. Mit dem Ziel, die Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen zu fördern und den Schutz von Mensch und Umwelt bei der Erzeugung und Bewirtschaftung von Abfällen sicherzustellen. Der Fokus liegt hierbei auf dem Verstärkten Recycling von Abfällen.

 

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Interessant ist hier, dass das bewährte System der Produktverantwortung um die sogenannte Obhutspflicht erweitert wurde. Seit Ende Oktober 2020 müssen die Beschaffungsstellen in Bundesbehörden und bundeseigenen Unternehmen diese Vorgaben des neuen Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) umsetzen. Zwar musste der öffentliche Sektor auch bisher schon sicherstellen, dass ökologische Aspekte in der Auftragsvergabe berücksichtigt wird (= Prüfpflicht). Doch nun führt kein Weg mehr daran vorbei: nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sind zwingend zu bevorzugen (= Bevorzugungspflicht). Diese verlangt die Erhaltung der Gebrauchstauglichkeit von Produkten und lässt deren Entsorgung nur als letzte Option zu. Ebenso gehört die Transparenzpflicht dazu, die auf Grundlage einer Rechtsverordnung durchgesetzt werden kann. Dadurch können Berichte über den Umgang mit Warenüberhängen, Retouren oder Maßnahmen zur Gebrauchserhaltung der Produkte gefordert werden.
Darüber hinaus werden in Deutschland Stellen und Institutionen des Bundes zukünftig dazu verpflichtet, beim Einkauf explizit Produkte, die rohstoffschonend, abfallarm, reparierbar, schadstoffarm und recyclingfähig sind zu bevorzugen, sofern keine unzumutbaren Mehrkosten entstehen.

„Solange ich in einem Kreislaufwirtschaftsgesetz das Verbrennen als ein zugelassenes und manchmal bevorzugtes Recyclingverfahren erlaube, haben wir das Problem nicht gelöst.“

Dr. Rüdiger Fox, CEO Sympatex

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz

  • Seit 01.07.2012 – Abgeleitet aus der EU-Gesetzgebung
  • Umsetzung des Rechtsrahmens für die Bundesregierung zur Umsetzung von Maßnahmen zur Abfallminimierung, zu Sammelsystemen und zur Kreislaufwirtschaft.
  • Umsetzung der EU Die Abfallhierarchie:
  1. Vermeidung
  2. Vorbereitung für die Wiederverwendung
  3. Recycling
  4. Sonstige Verwertung, insbesondere Rückgewinnung von Energie
  5. Beseitigung.

 

  • Die technischen Möglichkeiten, die wirtschaftliche Akzeptanz und die sozialen Folgen der Maßnahme sind zu berücksichtigen.
  • Abfallerzeuger oder -besitzer sind verpflichtet, ihre Abfälle zu verwerten.
  • Umsetzung der Zielwerte für die Wiederverwendung und das Recycling von Siedlungsabfällen (50% bis 1.1.2020 … 65% bis 1.1.2035).

„Gerade der Textilbereich ist aus unserer Sicht ein wichtiger Bereich für Anknüpfungspunkte im Bereich Nachhaltigkeit, für einen Blick auf Menschenrechte und für die gesamte Lieferkette, weil sie gerade auch in Bereiche hineinragt in denen Menschenrechte nicht besonders großgeschrieben werden.“

Anna Horschik

Unternehmerische Verantwortung

Millionen Menschen leben weltweit in Not, weil soziale Mindeststandards missachtet werden. Um das zu ändern, wurde am 11. Juni 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) vom Deutschen Bundestag beschlossen. Ziel des Gesetzes ist, die internationale Menschenrechtslage zu verbessern, indem Anforderungen an ein verantwortungsvolles Management von Lieferketten festlegt wird. Das Gesetz ist ab 1. Januar 2023 in Kraft. Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird erstmals die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten geregelt, indem das Gesetz klare Anforderungen für die Sorgfaltspflichten von Unternehmen festlegt und so Rechtssicherheit für Unternehmen und Arbeitnehmer schafft.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

  • Gültig ab 01.01.2023
  • Für deutsche Unternehmen (oder inländische Niederlassungen) mit mindestens 3.000 Mitarbeitern (>1.000 ab 2024)
  • Notwendigkeit, ein Risikomanagementsystem einzurichten, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, Due Diligences durchzuführen und einen Beschwerdemechanismus einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen in ihren direkten und indirekten Lieferketten zu vermeiden
  • Gefahr einer Geldbuße oder des Ausschlusses von der öffentlichen AuftragsvergabeLieferkettensorgfaltspflichtengesetz (gültig ab 01.01.2023):
  • Für deutsche Unternehmen (oder inländische Niederlassungen) mit mindestens 3.000 Mitarbeitern (>1.000 ab 2024)
  • Notwendigkeit, ein Risikomanagementsystem einzurichten, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, Due Diligences durchzuführen und einen Beschwerdemechanismus einzurichten, um Menschenrechtsverletzungen in ihren direkten und indirekten Lieferketten zu vermeiden
  • Gefahr einer Geldbuße oder des Ausschlusses von der öffentlichen Auftragsvergabe

Die zu erfüllenden Pflichten sind nach den tatsächlichen Einflussmöglichkeiten abgestuft, je nachdem, ob es sich um den eigenen Geschäftsbereich, direkten Vertragspartner oder einen mittelbareren Zulieferer handelt. Zunächst gilt das Gesetz für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeiter:innen in Deutschland. EU-weit gilt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz noch nicht.

Es gibt verschiedene Sorgfaltspflichten, die eingruppiert sind und reichen von einem Risk-Monitoring bis hin zu einer Hotline, über diese sich Betroffene über die gesamte Lieferkette hinweg, an den Unternehmer:in wenden können. Das Unternehmen widerum ist verpflichtet Mechanismen einzubauen, um die in der Lieferkette nachstehenden Parteien mitzunehmen und Pflichten an die nachgelagerten Lieferanten weiterzugeben. Dadurch wird das Gesetz auch interessant für Unternehmen mit weniger als 3.000 Mitarbeiter:innen. Über den trickle-down Effekt werden alle mitverpflichtet. Für die Beschaffung ist das insofern wichtig, als das es Ausschlussmöglichkeiten von der öffentlichen Auftragsvergabe gibt.

Auch die zu verwendenden Stoffe und Chemikalien für Textilien werden von dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beeinflusst. Denn für den Menschen schädliche Stoffe beeinflussen nicht nur den Konsumenten, der die Textilien trägt, sondern auch all diejenigen, die die Textilien herstellen.

„Wir brauchen eine vereinheitlichte Rechtsgrundlage, damit gleiche Bedingungen herrschen für Unternehmen unterschiedlicher Größe und Standort.“

Anna Horschik

Unser derzeitiges Wirtschaftskonstrukt verfolgt primär wirtschaftliche Interessen. Kollateralschäden, insbesondere in entfernteren Ländern werden aufgrund von Gesetzeslücken aktuell nicht bestraft. Dr. Rüdiger Fox sieht in der Verabschiedung der beiden Gesetze, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und Kreislaufwirtschaftsgesetz, wichtige Initiativen, um diese Lücken zu schließen.

© Jörg Farys / Fridays For Future / Flickr / CC BY 2.0
Zukunft und Klima keine abstrakten Begriffe: Kinder und junge Menschen gehen weltweit für nachhaltigen Klimaschutz auf die Straße

„Da hat etwas begonnen sich zu bewegen. Und eigentlich sind die beiden Gesetze unheimlich gut repräsentativ für das was kommt: das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist die Ambition, tatsächlich in eine zirkuläre Industrie einzuschwenken. Das ist unvermeidlich, wenn man den Ressourcenverbrauch anschaut, wird aber noch eine große Aufgabe sein.“

Dr. Rüdiger Fox, CEO Sympatex

Der zweite wichtige Schritt ist es, die Verantwortung zurückzuholen. Denn während Verantwortung aufgrund einer meist langen Supply-Chain in ferne Länder delegiert wurde, muss aufgrund der nun geforderten Transparenz alles offengelegt werden was auf dem Weg zum Produkt geschieht. Weiter ist Dr. Rüdiger Fox davon überzeugt, dass es zwei fundamentale nächste Schritte benötigt. Die eine Bewegung, die jetzt kommen muss und die hat begonnen, ist das was von der EU kommt. Benötigt wird eine Standardisierung über die einzelnen Länder hinaus. Wenig effektiv sei jedoch, wenn jedes Land operativ unterschiedliche Dinge tut. Stattdessen müsse es einen gesetzlichen Rahmen geben.

Das zweite ist, die fehlenden Gesetzeslücken zu erkennen und zu schließen. Denn aktuell bleibt in einem Kreislaufwirtschaftsgesetz das Verbrennen als ein zugelassenes und manchmal bevorzugtes Recyclingverfahren. Doch so lässt sich das Problem nicht lösen. Auch weitere Details sind in dem Gesetz noch ungeklärt. So ist die unternehmerische Verantwortung im Moment sehr stark im Bereich Risk-Assessment. Dr. Rüdiger Fox ist überzeugt davon, dass wir Soziales vom Ökologischen unterscheiden müssen. Im Ökologischen gibt es weitaus mehr Möglichkeiten, da man die Fehltritte im Endprodukt nachweisen kann. Und da liegt der nächste Schritt: Radikalisierung und Europäisierung, die jetzt aktuell notwendig ist und das relativ zeitnah.

„Wir brauchen eine Standardisierung über die einzelnen Länder hinaus.“

Dr. Rüdiger Fox

Bild: commons.wikimedia.org #36747062864
Umweltschutz als Thema der UN Versammlung 2022

Dass öffentliche Aufträge dem Vergaberecht unterliegen und ab einem gewissen Volumen ausgeschrieben werden müssen, soll sicherstellen, dass die Gelder nicht nur ökonomisch, sondern eben auch ökologisch sinnvoll eingesetzt werden. „Ökologische“ Aspekte zu berücksichtigen, ist dabei auf allen Ebenen eines Vergabeverfahrens möglich: im Rahmen der Eignungskriterien, bei der Festlegung des Auftragsgegenstandes, bei der technischen Spezifikation in der Leistungsbeschreibung, als Zuschlagskriterium oder als zusätzliche Ausführungsbestimmung. Was einfach klingt, ist in der praktischen Umsetzung schwieriger, denn das Verfahren ist stark formalisiert.

„Aus unternehmerischer Sicht ist die Beschaffung der strengste Fokus. Aufgrund der Ausschlussmöglichkeit von Ausschreibungen.“

Dr. Rüdiger Fox, CEO Sympatex

Sympathy Lab Folge 5

Viele wichtige Aspekte sind aktuell in Bewegung. Nicht nur Unternehmen und die öffentliche Hand, auch jede(r) einzelne kann etwas beitragen, indem er / sie das was er / sie tut mit Nachhaltigkeit verbindet. Zuerst muss allerdings ein Bewusstsein entstehen. Um das Thema Nachhaltigkeit in der Öffentlichen Beschaffung präsenter zu machen, wurde die Sympathy Lab Folge 5 aufgezeichnet und ist auf YouTube und der Website sympathy-lab.com jederzeit abrufbar.

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